Nation

Bischof Bonnemain im Kampf gegen Kirchenaustritte: Ein überraschendes Telefonprojekt

2024-12-10

Autor: Gabriel

Joseph Maria Bonnemain, der 76-jährige Bischof des Bistums Chur, ist zurzeit mit einer bemerkenswerten Aktion beschäftigt: einer Telefonkampagne, die darauf abzielt, Gläubige von einem Kirchenaustritt abzuhalten. Gemeinsam mit vier anderen Kirchenvertretern beantwortet er in Zürich Anrufe von Menschen, die oft verunsichert sind oder Fragen zur Kirche haben – sei es über Kirchensteuern, den Missbrauchsskandal oder einfach die Sorgen des Alltags in einer krisengeplagten Welt.

Die Telefonaktion ist der Auftakt zur Kampagne „Kirchensteuer wirkt“, bei der die Zürcher Landeskirche aufzeigt, wie viel Gutes mit den Kirchensteuergeldern erreicht wird. Die finanziellen Mittel fließen unter anderem in wohltätige Organisationen wie die Caritas, die Dargebotene Hand sowie in die Jugendorganisationen Pfadi und Jungwacht-Blauring. Mit dieser Kampagne möchte die Kirche ihre wertvolle Rolle in der Gesellschaft betonen und die positiven Aspekte des Glaubens ins Licht rücken.

Die aktuellen Zahlen sind alarmierend: Laut dem Schweizerischen Pastoralsoziologischen Institut traten im letzten Jahr über 67.000 Katholikinnen und Katholiken aus der Kirche aus – das sind 100 Prozent mehr als im Vorjahr. Bei den evangelisch-reformierten Kirchen sieht es mit über 39.000 Austritten ähnlich aus. Besonders der Dezember ist bekannt dafür, dass viele sich von der Kirche trennen, oft auch, weil die Kirchensteuer für das gesamte Jahr zurückerstattet wird.

Der Bischof ist sich der Herausforderung bewusst und betont, dass es ihm nicht in erster Linie um die Kirchensteuer geht, sondern um das spirituelle Engagement der Menschen: „Ich möchte die Menschen dazu ermutigen, in der Nachfolge Christi aktiv zu sein.“ Dabei bleibt Bonnemain optimistisch und lädt die Anrufer dazu ein, selbst Teil der Kirche zu sein: „Die Kirche sind wir alle.“

Während der Telefonaktion konnte Bonnemain etwa sieben Anrufe pro Stunde entgegennehmen und hielt dabei eine inspirierende Verbindung zu seinen Gesprächspartnern. Die Anrufer waren oft aus seiner eigenen Generation, und viele thematisierten die Themen sexueller Missbrauch und die Notwendigkeit von Reformen innerhalb der Kirche. Der Bischof hatte klare Antworten parat, unter anderem die Idee eines nationalen Kirchenstrafgerichts mit unabhängigen Experten, um an den Skandal heranzutreten.

Er zeigt auch durch praktische Taten, wie ernst es ihm mit der Nächstenliebe ist. So plant er, zusammen mit einem reformierten Pfarrer Sandwiches an Drogensüchtige zu verteilen. „Wir müssen eine Kirche sein, die aktiv wird, die sich um die Armen und Ausgegrenzten kümmert“, sagt er.

Eine repräsentative Umfrage des Forschungsinstituts Sotomo zeigt, dass viele Gläubige insbesondere das soziale Engagement der Kirche schätzen. Dennoch droht der Glaubensverlust in einer zunehmend säkularisierten Gesellschaft, in der religiöse Werte oft nicht mehr an die nächste Generation weitergegeben werden. Immer weniger Kinder werden getauft, und kirchliche Hochzeiten sind rar geworden. Die Konfessionslosen stellen bereits die größte Gruppe in der Schweiz dar, und dieser Trend scheint sich weiter fortzusetzen.

In der heutigen digitalen Welt ist der Kirchenaustritt nur einen Mausklick entfernt. Websites, die Austrittsformulare bereitstellen, haben stark an Beliebtheit gewonnen, insbesondere nach der Veröffentlichung der Missbrauchsstudie im letzten Jahr. Stefan Amrein, Betreiber von „Kirchenaustritte Schweiz“, stellte einen dramatischen Anstieg der Zugriffe auf seine Seite fest. Er verrät jedoch, dass das Interesse an den Austrittsformularen mittlerweile wieder auf einem stabilen Niveau ist.

Trotz dieser Herausforderungen bleibt Bischof Bonnemain optimistisch und fokussiert sich auf die Anrufer, die noch an einem positiven Verhältnis zur Kirche interessiert sind. Einige Anrufer, darunter ein Mann, der kürzlich die evangelisch-reformierte Kirche verlassen hat, luden ihn sogar zum Essen ein, was Bonnemain als Chance sieht, das Gespräch zu vertiefen und möglicherweise zur Rückkehr zur Kirche zu motivieren. Am Ende des Telefonaktionstags kann die Landeskirche auf rund 75 ankommende Gespräche zurückblicken – eine Zahl, die sie als Erfolg wertschätzt. Bonnemain selbst sagt dazu: „Ich würde dies gerne jeden Tag machen.“

Die Frage bleibt, ob solche Aktionen in der heutigen Zeit ausreichen werden, um das Vertrauen in die Kirche wiederherzustellen und die Gläubigen zurückzugewinnen.