
Sicherheitsexperte Neumann: Europa und die bedrohliche Abhängigkeit von US-Geheimdiensten
2025-04-08
Autor: Lukas
In den letzten Jahren gab es zahlreiche Terroranschläge in Europa, die dank wertvoller Informationen aus den USA verhindert werden konnten. Dies gilt auch für die Schweiz, die ebenfalls von diesen Hinweisen profitiert. Doch wie gefährden die sich abzeichnenden Spannungen zwischen den USA und Europa sowie die aggressive Handelspolitik der Amerikaner die Zusammenarbeit in den Geheimdiensten und somit unsere Sicherheit? Der Terrorexperte und Geheimdienstkenner Peter Neumann bringt Licht ins Dunkel.
SRF News: Auf einer Skala von 1 bis 10: Wie stark sind die Geheimdienste der Schweiz und Europas von den US-Geheimdiensten abhängig?
Peter Neumann: Diese Abhängigkeit würde ich mit einer 8 bis 9 bewerten. Etwa 80 bis 90 Prozent der erfolgreich vereitelten Terroranschläge basieren auf Informationen, die aus den USA stammen. Ohne diese Unterstützung wäre es für europäische Geheimdienste und Polizeibehörden äußerst schwierig, solche Bedrohungen abzuwehren. Auch in militärischen Angelegenheiten ist Europa eng auf die USA angewiesen; beispielsweise sind die Informationen der US-Geheimdienste entscheidend für die aktuelle Lage in der Ukraine.
Was können die USA, was europäische Geheimdienste nicht leisten können?
Es gibt drei Hauptbereiche, in denen die USA überlegen sind. Zunächst einmal die globale Überwachung durch Satelliten: Nur wenige Staaten verfügen über ein Satellitennetzwerk, das die gesamte Erde abdeckt und somit kontinuierlich überwachen kann. Hier sind die USA führend.
Zweitens in der Kommunikationsüberwachung: Die National Security Agency (NSA) hört weltweit mit, sammelt Kommunikationsdaten aus Telefonnetzen und ist intensiv im Internet aktiv. Drittens ist da die schiere Anzahl der Mitarbeiter, die bei amerikanischen Geheimdiensten beschäftigt sind und diese Daten mit hochmoderner Technologie analysieren.
Warum hat Europa diese Abhängigkeit von den US-Geheimdiensten entwickelt?
Im Laufe der Jahrzehnte ist diese Abhängigkeit gewachsen. Europa hat sich darauf verlassen, dass die enge Beziehung zu den USA stets besteht. Innerhalb der NATO wurden die Aufgaben klar verteilt: Die USA übernehmen die Aufklärung, während Europa sich um andere sicherheitsrelevante Aspekte kümmert. Doch jetzt erkennen wir, dass wir in einer potenziell verletzlichen Situation sind, wenn diese Unterstützung wegfällt.
Könnte die Trump-Regierung europäische Länder vom Zugang zu Geheimdienstinformationen ausschließen?
Bei militärischen Angelegenheiten haben wir bereits erlebt, dass Trump erklärt hat, die USA würden die EU schützen, aber nur, wenn sie mehr für die Rüstungsausgaben leisten. Es gibt keinen Grund, zu glauben, dass er dies nicht auch auf die Geheimdienste anwenden könnte. Sollte ihm klar werden, wie abhängig Europa in der Terrorabwehr ist, könnte ich mir vorstellen, dass er Druck auf die Europäer ausübt: Entweder ihr zahlt für unsere Schutzleistungen, oder wir stellen die Kooperation ein. Ein Beispiel dafür ist, dass er der Ukraine einmal Informationen für eine ganze Woche vorenthalten hat.
Was bedeutet das für die Schweiz und Europa?
Diese Entwicklungen geben Anlass zur Sorge. Wir müssen uns fragen: Wollen wir Donald Trump jedes Jahr finanzielle Zusagen machen, oder wäre es nicht besser, dieses Geld in unsere eigenen Sicherheitsfähigkeiten zu investieren? Ich plädiere für Letzteres. Europa muss in bestimmten Bereichen, wie beispielsweise in der Satellitenkommunikation, unabhängig werden. Momentan sind wir erpressbar, und kein souveräner europäischer Staat möchte sich in einer solch verwundbaren Position befinden. Um die Sicherheit der Bürger zu gewährleisten, ist es entscheidend, dass Europa trotz der Herausforderungen durch die USA den eigenen Weg findet.