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Wissenschaftler warnten schon lange vor dem verheerenden Erdrutsch in Indien

2024-10-03

Ein verheerendes Unglück

Abdul Aziz steht mit den Füßen in breitem Matsch. Um ihn herum: die schlammverschmierte Ruine seines Hauses, voller Erinnerungen an ein Leben, das vor der Katastrophe war. Ein zerstörter Kühlschrank, Spielzeugautos seiner Kinder, eine Matratze, die von der Wucht der Flut hereingespült wurde und jetzt in dem Schlamm vor sich hindümpelt.

Die deadly mudslide hat die Familie mitten in der Nacht überrascht.

"Wir hörten plötzlich ein lautes Geräusch", berichtet Aziz. "Meine Mutter und mein Bruder gingen vor die Tür, um zu sehen, was los ist. Das Wasser kam schnell, flutete den ersten Stock und spülte meine Mutter einfach weg."

Einst betrieb die Familie eine Bäckerei, von der sie lebten. Jetzt steht nur noch ein großer Kredit zwischen ihnen und der Existenz.

Ein steiler Berghang oberhalb des Dorfes war nach unnormal starkem Monsun-Regen Ende Juli abgerutscht, riss Felsbrocken, Erde, Häuser und sogar ganze Bäume mit sich.

Abdul Aziz' Mutter wird noch immer vermisst, während sein Bruder knapp vier Wochen nach dem Unglück schwer verletzt im Krankenhaus liegt. Wie es weitergehen soll, weiß Abdul Aziz nicht.

"Hier ist von unserem Dorf kaum noch etwas übrig", sagt der 32-Jährige. Selbst das Nachbardorf wurde mitgerissen, ebenso ein Teil der Teeplantage, die vielen Menschen hier Jobs bietet.

Inoffiziellen Angaben der Bezirksverwaltung zufolge sind mehr als 400 Menschen ums Leben gekommen, über 100 werden noch vermisst und fast 300 weitere sind verletzt. Die Polizei hat das Gebiet abgeriegelt. Bagger kämpfen sich durch Schlamm und Geröll, um die Trümmer zu beseitigen.

Ein tragisches Naturereignis

Naturkatastrophen sind im Süden Indiens nicht ungewöhnlich. Doch dieser gewaltige Erdrutsch in der Region Wayanad im Bundesstaat Kerala gilt als der schlimmste in der Geschichte Indiens, wie eine Studie im Auftrag der State Disaster Management Authority in Kerala zeigt.

Für Kerala ist es das schlimmste Unglück seit sechs Jahren, als nur wenige Kilometer von Abdul Aziz' Dorf entfernt mehr als 400 Menschen bei einem anderen Erdrutsch starben.

HINTERGRUND: Der Klimawandel als Auslöser

Wissenschaftler Vischnu Das ist überzeugt, dass der Klimawandel eine Schlüsselfaktor für diese Katastrophe war. Der Chef des Hume Center for Ecology and Wildlife Biology in Wayanad untersucht die Folgen des Klimawandels in dieser Region.

"Seit sechs Jahren erleben wir hier extreme Wetterereignisse", erklärt Das. Die Erwärmung des Arabischen Meeres habe dazu geführt, dass mehr vertikale Wolken entstanden, die ins Landesinnere geweht wurden. Wenn diese Wolken die Berge Wayanads erreichten, entluden sie sich in einem verzweifelten Regen.

Sein Team beobachtete den intensiven Regen und warnte die Behörden, doch eine Reaktion blieb aus.

Schockierenderweise wurde den Wissenschaftlern nach dem fatalen Erdrutsch untersagt, mit den Medien zu sprechen.

Bereits 2010 hatte eine Expertengruppe vor der Gefahr von Erdrutschen in den steilen Bergen von Wayanad gewarnt und empfohlen, in besonders gefährdeten Gebieten keine Bäume abzuholzen oder neue Bauprojekte zu genehmigen. Der Bericht wurde jedoch ignoriert und versandete in den Schubladen der Behörden.

Lobbyisten verhinderten strengere Bauvorschriften, während die lokale Regierung durch Druck von Interessengruppen von umfangreichen Regulierungen abgebracht wurde.

In den letzten Jahren entstanden in der malerischen Gegend, nur wenige Autostunden von der IT-Hochburg Bangalore entfernt, zahlreiche neue Resorts – einige direkt an den steilen Hängen, die jetzt der Erdrutsch hinweggerissen hat. Der verdächtig korrupten lokalen Regierung war dies egal, und der Tourismusminister weigerte sich, Stellung zu nehmen.

Auswirkungen auf die lokale Wirtschaft

Und ausgerechnet der Tourismus leidet nun am stärksten unter den fatalen Folgen.

Ein Restaurant rund 20 Kilometer von der Unglücksstelle entfernt ist verwaist. "Nur ein Kunde war hier, seit dem Unglück", sagt der Besitzer, der anonym bleiben möchte. Auch die Taxi-Fahrer haben keine Arbeit mehr und ihre Familien stehen vor einem Nahrungsmittelengpass.

Der Tourismus in der Region ist seit dem Erdrutsch beinahe zum Stillstand gekommen.

Der Restaurantbesitzer kämpft darum, seine Mitarbeitenden und seinen Kredit zu bezahlen. Er hofft, dass die Regierung bald aktiv wird und alles wie zuvor wiederhergestellt wird. "Solche Unglücke geschehen immer irgendwo in der Welt", meint er.

Der lokale Tourismusverband hat eine große Social-Media-Kampagne gestartet, um Urlauber zurückzugewinnen, betont der Generalsekretär Shylesh C.P. Der Tourismus sei die wichtigste Einnahmequelle für die Region, während die Landwirtschaft aufgrund des Klimawandels unter Druck steht.

Forderungen nach Wandel

Wissenschaftler und Aktivisten zeigen sich besorgt, dass diese Katastrophe nicht zu einem Umdenken führen könnte. Sie fordern einen Masterplan zur nachhaltigen Entwicklung der Region, der sensible und ungenutzte Gebiete kategorisiert und die Wild-West-Bebauung reguliert.

DAS LEID DER ÄRMSTEN – bereiten wir uns vor auf nächste Katastrophen?

Ähnliche Katastrophen könnten sich wiederholen, warnt Wissenschaftler Vischnu Das, solange keine umfassenden Regulierungen beschlossen werden. "In drei Monaten könnte alles wie früher weitergehen", befürchtet er.

Die am meisten Betroffenen sind oft die Ärmsten, die am wenigsten zum Klimawandel beitragen.

Ein alter Mann namens Balakrishnan sucht am wolkenverhangenen Morgen verzweifelt nach Unterlagen, die der Erdrutsch weggerissen hat. Dokumente, die für die Hinterbliebenen nützlich sein könnten.

Trotz zu erwartendem Wiederaufbau ist er besorgt. "Was passiert, wenn die Regierung uns in ein paar Wochen vergisst?"

FAZIT: Die globale Dimension des Problems

Der Klimawandel hat nicht nur lokale Auswirkungen, sondern auch globale. Die Wissenschaftler warnen, dass diese Arten von Katastrophen in Zukunft häufiger vorkommen werden, wenn keine Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels ergriffen werden. Während die Regierung in Kerala zur Wiederherstellung der Infrastruktur aufruft, bleibt unklar, ob dies auch zu wirksamen unvorbereiteten Schutzmaßnahmen führen wird.