
Christoph Frei über die riskanten Pläne Trumps: "Verrückt, woran wir uns gewöhnen"
2025-03-22
Autor: Lukas
Interview
"Wir müssen Abschiednehmen von der Vorstellung, dass Trump einen Masterplan hat."
Der emeritierte Staatswissenschaftler Christoph Frei analysiert in einem aufschlussreichen Gespräch die aktuellen Entwicklungen der Friedensverhandlungen für die Ukraine, den eskalierenden Krieg im Nahen Osten und die turbulente Lage in den USA.
Im vollbesetzten Audimax der Universität St. Gallen hielt Christoph Frei Ende Dezember seine Abschiedsvorlesung ab. Nach zwanzig Jahren an der HSG plant der Politikprofessor, für einige Monate von der Bildfläche zu verschwinden. Mit seinen Reiseplänen nach Südostasien und Taiwan ab März wird er eine neue Perspektive suchen.
Die Ereignisse rund um Donald Trump haben die Schlagzeilen stark dominiert. Frei nimmt zu den Entwicklungen der letzten Wochen Stellung – und er erläutert, weshalb die kommenden Monate entscheidend für die USA sein könnten.
Vor Kurzem sprach Trump mit Wladimir Putin über eine mögliche Waffenruhe in der Ukraine. Kam es dabei zu einer für die USA günstigen Einigung?
Christoph Frei: Der Ausgang des Gesprächs war vorhersehbar. Putin zeigt einen scheinbar konzilianten Umgang, doch inhaltlich bewegt er sich kaum und stellt Forderungen, die eine Einigung unmöglich machen.
Trumps Dank an Putin nach dem Gespräch war besonders auffällig, gegenüber Wolodymyr Selenskyj jedoch zeigt er eine ganz andere Haltung. Es war auffallend, wie der ukrainische Präsident im Weißen Haus behandelt wurde. Was denken Sie darüber?
Ich war unglaublich erstaunt. Innerhalb weniger Minuten haben wir das Ende eines sicherheitspolitischen Koordinatensystems erlebt. Dieser Bruch hatte sich zwar angekündigt, doch die Brutalität und der Stil waren schockierend.
Unter diesen Bedingungen, ist ein Waffenstillstand überhaupt vorstellbar?
Ein Waffenstillstand erfordert den politischen Willen beider Seiten. Aktuell sehe ich diesen Willen auf Seiten Russlands nicht. Zudem hat Trumps Umfeld großen Einfluss auf die Ukraine, die sich in einer prekären Position befindet.
Führen die USA derzeit die Friedensverhandlungen alleine, während Europa außen vor bleibt?
Ich bezweifle, dass Europa in dieser Phase eine formale Rolle spielt.
Gibt es eine Möglichkeit, dass Europa und die USA wieder zueinanderfinden?
Es gibt immer einen Funken Hoffnung. Doch die Atmosphäre und die Interessen, die Trump und sein Kreis vertreten, lassen nicht viel Raum für Optimismus. Europa muss sich möglicherweise neu organisieren.
Wie sollte die Schweiz auf diese Veränderungen reagieren, insbesondere bezüglich ihrer Neutralität?
Die Schweiz muss unbedingt ihre Position und Neutralität überdenken. Doch ich bin skeptisch, ob dies tatsächlich geschehen wird.
Warum sind Sie skeptisch?
Das Thema ist stark emotional aufgeladen, und viele bestehen auf der Neutralität. Aber was ist Neutralität wert, wenn wir aufgrund von Erpressung nicht unabhängig handeln können? Unsere politische Kultur hat Schwierigkeiten, sich der Realität zu stellen und kritisch zu hinterfragen.
Im Nahost-Konflikt war Trump anfänglich sehr aktiv, nun scheint er Netanyahu wieder Freiraum gegeben zu haben. Wie gefährlich ist die aktuelle Situation?
Die Brutalität und Entschlossenheit Israels hat mit dem Wahlsieg von Trump zu tun. In den letzten Wochen haben sich die Spannungen erheblich verstärkt und die Worte neuer israelischer Führung reflektieren Trumps eigene Rhetorik.
Wie bewerten Sie die Ideen wie die »Riviera des Nahen Ostens«?
Es ist verrückt, was wir inzwischen als normal empfinden. Die Idee, Millionen von Menschen umzusiedeln, ist alarmierend. Es scheint, dass die US-Interessen über menschliche Rechte und Gesetze gestellt werden. Es ist verstörend, dass wir solch gravierende Vorschläge ohne ernsthafte Diskussion hinnehmen.
Trumps Zölle, insbesondere gegen Kanada und Europa, haben große Auswirkungen – welche sind das?
Diese Maßnahmen gefährden die Grundlagen einer funktionierenden Wirtschaft erheblich. Der Mangel an klaren Regeln führt zu Unsicherheiten, die nicht nur Investitionen behindern, sondern auch das Vertrauen in die Märkte erschüttern.
Sehen Sie eine Strategie hinter Trumps Handlungen?
Es wäre naiv, Trump als einen Politiker mit einer klaren Vision zu sehen. Er nutzt seine Macht, um partikularen Interessen zu dienen, ohne ein langfristiges Konzept zu verfolgen. Seine Entscheidungen scheinen oft impulsiv und momentbezogen zu sein.
Die Frage, ob die Exekutive bereit ist, maßgebliche gerichtliche Entscheidungen zu respektieren, ist zentral in der aktuellen politischen Lage.
Ist die USA möglicherweise auf dem Weg in eine Verfassungskrise?
Wir stehen an einem kritischen Punkt. Wenn die Regierung die Justiz missachtet, könnte dies tatsächlich zu einer Verfassungskrise führen. Wir sollten alle wachsam sein. Die Entscheidung, ob die aktuellen Entwicklungen als Normalität akzeptiert werden, liegt bei uns allen.
Frei betont, dass die nächsten Monate in der US-Politik entscheidend sein könnten und dass die Welt genau hinschauen muss.