Wissenschaft

Die faszinierende Welt der Gerichtsmedizin: Anwalt der Lebenden und Toten

2024-12-30

Autor: Louis

Der Tod ist ein Thema, das viele Menschen fasziniert und zugleich ängstigt. Er ist grausam und erschreckend, aber auch friedlich und mysteriös. Wenn jemand stirbt, trennen wir uns unwiderruflich von dem Verstorbenen. Besonders schmerzhaft ist der Verlust, wenn der Tod unerwartet eintritt oder durch Fremdeinwirkung verursacht wird.

Bei der Aufklärung von Gewalttaten spielt die Gerichtsmedizin eine entscheidende Rolle. Die Experten der Gerichtsmedizin bezeichnen sich selbst als "Anwälte der Opfer – der Lebenden und der Toten", ein Motto, das die Verantwortung und den Einsatz dieser Fachleute verdeutlicht. Im Rahmen einer kürzlichen Recherche wollte ich mehr über den Alltag in der Gerichtsmedizin in Wien erfahren und besuchte die Sensengasse, das Zentrum für forensische Medizin.

Wann wird die Gerichtsmedizin aktiv?

Die Gerichtsmedizin wird oft dann hinzugezogen, wenn eine Person an einem öffentlichen Ort oder zu Hause stirbt, ohne dass eine klare Todesursache medizinisch dokumentiert ist. Der Verdacht auf ein mögliches Gewaltverbrechen führt dazu, dass die Staatsanwaltschaft die Gerichtsmedizin informiert. Im Schnitt finden in der Gerichtsmedizin zwischen 350 und 500 Obduktionen pro Jahr statt – das sind in etwa zwei pro Tag. Interessanterweise schließen viele dieser Obduktionen ein Fremdverschulden aus.

In Österreich werden jährlich etwa 30 bis 40 Morde verzeichnet, wobei die Hälfte davon in Wien stattfindet, wie Professor Nikolaus Klupp, der Direktor des Instituts, erklärt. Derweil sind die Gerichtsmediziner rund um die Uhr erreichbar, um am Tatort die notwendigen Dokumentationen durchzuführen, wenn es zu einem plötzlichen oder gewaltsamen Tod kommt.

Untersuchungen lebender Opfer

Die Tätigkeit der Gerichtsmedizin beschränkt sich jedoch nicht nur auf verstorbene Personen. Professor Klupp hebt hervor, dass auch lebende Gewaltopfer behandelt werden. Hierbei geht es um die Dokumentation von Verletzungen, die für spätere Verfahren von Bedeutung sein können, insbesondere im Hinblick auf Schmerzensgeld oder Berufsunfähigkeit. Sollten Tätern eine verminderte Haftfähigkeit aufgrund von Alkoholeinfluss zugeschrieben werden, ist es die Aufgabe der Gerichtsmedizin, dies festzustellen.

Ein neu geplantes Hilfszentrum für Gewaltopfer, das Anfang des nächsten Jahres eröffnet werden soll, wird eine wichtige Anlaufstelle für Menschen, die Zwang oder Gewalt erlebt haben. Opfern wird die Möglichkeit gegeben, ihre Verletzungen dokumentieren zu lassen, ohne die Polizei informieren zu müssen. Dies könnte dazu beitragen, dass Betroffene, die zögern, den Täter zu melden, dennoch Beweise sammeln können.

Faszination forensische Wissenschaft

Die Gerichtsmedizin in Wien nutzt nicht nur tradiertes Wissen, sondern auch innovative Forschungsansätze, um die Methoden zu verbessern. Die zwei Bereiche, die in den Fokus gerückt werden sollen, sind die Forensische Entomologie und die Forensische Anthropologie.

Die Forensische Entomologie beschäftigt sich mit der Untersuchung von Insektenlarven, um den Todeszeitpunkt eines Opfers zu schätzen. Zwei Stunden nach dem Tod sind häufig die ersten Fliegen am Ort des Geschehens zu finden, deren Larven Aufschluss darüber geben können, wie lange die Leiche bereits aufgefunden wurde. Diese Forschung ist besonders wichtig, da das Klima die Lebensbedingungen vieler Arten beeinflusst und dadurch aktuelle Daten notwendig sind, um exakte Rückschlüsse ziehen zu können.

Die Forensische Anthropologie hingegen widmet sich der Untersuchung von Skelettresten und der Bestimmung des Todesalters und der Zeitspanne, seit der die Person verstorben ist. Professor Fabian Kanz, Leiter des Forensischen Forschungslabors, arbeitet dabei mit modernen Methoden wie DNA-Analysen, um genauere Informationen aus den Überresten zu gewinnen. Auch die Untersuchung von Zähnen kann Aufschluss über das Alter eines Verstorbenen geben, indem man die "Ringe" im Zahnzement zählt, ähnlich wie bei Bäumen.

Ein Blick in die Zukunft der Gerichtsmedizin

Gerichtsmedizin ist ein Fachgebiet, das ständig im Wandel ist. Es ermöglicht nicht nur, Antworten auf viele Fragen der Vergangenheit zu finden, sondern eröffnet auch Chancen für zukünftige Forschungsprojekte. Professor Klupp spricht mit Begeisterung über die Vielseitigkeit des Faches, die interdisziplinäre Zusammenarbeit und die Herausforderungen, die mit den verschiedenen Aspekten der Gerichtsmedizin einhergehen. Die Brutalität, die in manchen Fällen zu begegnen ist, bleibt nicht ohne Auswirkungen auf die Fachkräfte und erfordert eine ständige Auseinandersetzung mit den emotionalen Herausforderungen des Berufes.

Ein besonders einschneidendes Erlebnis, das Professor Klupp nie vergessen wird, war der Fall von 2015, als 71 Flüchtlinge in einem Lkw erstickten. Diese Tragödien hinterlassen Spuren, und der Gerichtsmediziner muss lernen, mit ihnen umzugehen. Trotz der Herausforderungen dieser Tätigkeit bleibt sein Glaube an die Menschheit bestehen. Auch wenn die Gerichtsmedizin oft mit grausamen Aspekten des Lebens konfrontiert ist, bietet sie Hoffnung auf Gerechtigkeit und die Möglichkeit, wie ein Puzzle das große Bild von Leben und Tod neu zu formen.