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Ein Jahr nach dem Horror: Israel im Strudel des Chaos

2024-10-06

«Der 7. Oktober war so traumatisch», erzählt die junge Israelin Lia am Sonntagmittag aus Tel Aviv. Die grausame Erinnerung an die Ermordung der Mutter ihrer besten Freundin durch die Hamas im Kibbuz Beeri verfolgt sie bis heute. «Und ich hätte nie gedacht, dass ein Jahr später alles schlimmer sein könnte.»

Fast ein Jahr nach dem schockierenden Massaker der Hamas steigen nach wie vor Rauchwolken über dem Gazastreifen auf. Die Wunden in Israel sind noch lange nicht verheilt; die Gesellschaft steht vor enormen Herausforderungen, die weit über den Tags des Angriffs hinausgehen.

Am Montag wird in Israel der Jahrestag des schlimmsten Massakers an jüdischen Menschen seit dem Holocaust begangen. Angehörige der Toten und Entführten werden am Nova-Festival an die Grauen erinnern, während eine alternative Gedenkveranstaltung in Tel Aviv, die für die Überlebenden der Geiseln geplant ist, ins Leben gerufen wurde. Diese Entscheidung fiel als Reaktion auf die massive Kritik an der offiziellen Zeremonie der Regierung, die als unzureichend und nicht sensitiv wahrgenommen wurde.

Die Verkehrsministerin Miri Regev zeigte sich desinteressiert an den Anliegen der betroffenen Gemeinden, was den Graben innerhalb der israelischen Gesellschaft nur weiter vertieft hat. Ein Jahr nach dem Überrascungsangriff, der für viele Israelis unvorstellbar schien, ist die Nation in einem Zustand der inneren Zerreißung und kämpft an mehreren Fronten gegen Extremismus und Angst.

Der Tag des Angriffs steht im Kontrast zu den Berichten über die zahlreichen Warnsignale, die Israel ignoriert hat. Am 7. Oktober um 6:29 Uhr stürmten Tausende von Hamas-Terroristen in einem schockierenden Angriff über den Hightech-Grenzzaun. Dies gipfelte in einem verheerenden Chaos, das allem, was die Israeli kannten, widersprach.

Bei einer Pressekonferenz am Sonntag präsentierte die israelische Armee ausländischen Journalisten die Waffen, die die Hamas seit Beginn des Krieges erbeutet hat. Ein Blick auf die veralteten und primitive Waffen lässt erahnen, wie tief die Verstärkung und die Entschlossenheit der Islamisten aus Gaza greifen, jedoch auch auf die Ignoranz der israelischen Sicherheitsdienste hinweist, die umfassende Informationen über potenzielle Angriffe und Bedrohungen hatten, diese aber nicht ernst nahmen.

Im Hintergrund plant Israel bereits offensichtliche Schritte gegen den Erzfeind Iran, während die gegenwärtige Welle von Attacken in Gaza und Libanon unvermindert anhält. Am Sonntag meldete die Armee, dass ein neues operatives Vorgehen gegen die Hamas im nordöstlichen Gazastreifen gestartet wurde, da die Gruppe dort einen strategischen Rückzugsort versucht zu etablieren.

Ein israelischer Luftangriff auf eine Moschee, die als Notunterkunft diente, kostete nach palästinensischen Berichten am Sonntag das Leben von mindestens 26 Menschen. Die fortgesetzte militärische Operation im Libanon, die weiterhin als „begrenzt“ klassifiziert wird, zeigt die Eskalation der Konflikte in der Region. In Beirut fühlten die Einwohner die Gewalt der Explosionen aufgrund israelischer Luftangriffe, die Hizbullah-Stellungen ins Visier nehmen sollten.

Der Nahostkonflikt hat sich zu einem Flächenbrand entwickelt, den die USA versucht haben zu vermeiden. Die Gefahr eines großen Konflikts mit Iran und eines umfassenderen Krieges in der Region wächst täglich.

Ein Jahr nach dem Horror bleibt die Frage, wie Israel mit den emotionalen und sozialen Narben umgehen wird, die dieser Konflikt hinterlassen hat. Die Gesellschaft steht vor der Herausforderung, nicht nur den physischen Kampf zu führen, sondern auch den inneren Frieden und die Einheit zu finden, während sie zwischen Trauma und Hoffnung oszilliert.