In den USA hat der größte Streik von Hafenarbeitern seit den 1970er Jahren begonnen. Über 36 wichtige Häfen an der Ost- und Golfküste sind betroffen. Wenn innerhalb weniger Tage keine Einigung erzielt wird, droht der Seetransport mit den Vereinigten Staaten im Chaos zu versinken. Der Streik könnte nicht nur bedeutende Lieferketten weltweit stören, sondern auch der US-Wirtschaft kurz vor den bevorstehenden Wahlen schwer zusetzen.

Die potenziellen Folgen sind gravierender als die Störungen, die 2021 durch das Frachtschiff «Ever Given» verursacht wurden, als es den Suezkanal blockierte und die wichtigste Handelsroute zwischen Europa und Asien für eine Woche lahmlegte.

Welche Häfen sind betroffen?

Fast alle bedeutenden Frachthäfen an der Ost- und Golfküste der USA, die Container be- und entladen, sind im Streik. Dazu gehört der Hafen von New York und New Jersey, der drittgrößte in den USA.

Ausgenommen sind jedoch der Handel mit Öl und Erdgas sowie Kreuzfahrtschiffe. Auch Massenfrachtgüter wie Kohle sind nicht betroffen, da sie unter einem anderen Gesamtarbeitsvertrag geregelt sind.

Warum kommt es zum Streik?

Die sechsjährige Vereinbarung zwischen den Hafenbetreibern und der International Longshoremen’s Association (ILA), die 47.000 Hafenarbeiter vertritt, läuft Ende September aus. Die Verhandlungen zur Erneuerung des Arbeitsvertrags verliefen im Geheimen, doch es wurde schnell bekannt, dass die Forderungen beider Seiten stark voneinander abweichen.

Die ILA fordert Berichten zufolge 77 Prozent mehr Lohn gegenüber der letzten Einigung, während die Hafenbetreiber, die in der U.S. Maritime Alliance organisiert sind, rund 40 Prozent mehr angeboten haben. Gewerkschaftschef Harold Daggett bezeichnete dieses Angebot als erniedrigend. Offizielle Verhandlungen gab es seit Juni kaum noch. Die ILA hat angekündigt, die Häfen ab dem 1. Oktober zu bestreiken.

Viele Hafenarbeiter verdienen gut: Mehr als die Hälfte der Beschäftigten im Hafen von New York und New Jersey erzielte 2020 ein Einkommen von über 150.000 Dollar. Die Gewerkschaft argumentiert, dass die hohen Gehälter überwiegend auf Überstunden beruhen. Zudem ist die Automatisierung der Häfen ein weiterer Streitpunkt, da sie zwar die Effizienz steigern könnte, aber auch Arbeitsplätze gefährden würde.

Welche wirtschaftlichen Auswirkungen hat der Streik?

Große Banken wie J.P. Morgan schätzen, dass der Streik täglich bis zu 4,5 Milliarden Dollar kosten könnte. Experten warnen, dass ein längerer Streik negative Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt haben würde, da fehlende Teile die Produktion in vielen Fabriken lahmlegen könnten. Dies könnte auch zu Entlassungen führen.

Die Auswirkungen sind auch international spürbar, da die US-Märkte für viele Länder, darunter die Schweiz, von hoher Bedeutung sind. Unternehmen wie BMW und Stihl, die in den USA Fabriken betreiben, wären ebenfalls betroffen.

Was geschieht mit der westlichen US-Küste?

Die amerikanische Westküste bleibt vom Streik unberührt. Zwillingshäfen wie Los Angeles und Long Beach, die größten in den USA, wurden in den letzten Monaten nicht vollständig ausgelastet, und einige Transportunternehmen haben bereits ihre Lieferungen dorthin umgeleitet. Dennoch ist die zusätzliche Kapazität dieser Häfen begrenzt, und die Transportkosten für Inlandstransporte könnten steigen, was sich negativ auf Importeure günstiger Waren auswirkt.

Wie reagiert die Politik?

Präsident Joe Biden hat gemäß dem Taft-Hartley Act von 1947 das Recht, Streiks zu unterbinden und eine Mediation anzuordnen. Eine breite Allianz von Wirtschaftsvertretern hat Biden aufgefordert, von diesem Recht Gebrauch zu machen. Er hat jedoch signalisiert, dass er dies nicht beabsichtigt. Der Streik bringt die Demokraten in eine heikle Situation, da Gewerkschaften traditionell unterstützen, dass demokratische Wähler an die Urne gehen.

Wie wirkt sich der Streik auf die Wahlen aus?

Ein längerer Streik könnte verheerende wirtschaftliche Konsequenzen haben, insbesondere da die Inflation bereits rückläufig ist. Wirtschaftsvertreter warnen davor, dass der Streik die Wähler beeinflussen könnte, insbesondere angesichts der hohen Inflation von 2021 bis 2023, für die viele Wähler Biden und die Demokraten verantwortlich machen könnten.

Vizepräsidentin Kamala Harris versucht, sich von Biden zu distanzieren, während sich die Sorgen über mögliche negative Auswirkungen des Streiks auf Arbeitslosigkeit, Preise und Wirtschaftswachstum häufen.

Wie haben sich die Händler vorbereitet?

Nach den Erfahrungen während der Corona-Pandemie haben viele Unternehmen ihre Lagerbestände erhöht, um Lieferverzögerungen abzufangen. Einige Händler von verderblichen Waren haben sogar begonnen, ihre Produkte per Luftfracht in die USA zu transportieren, um Verluste durch verdorbene Güter zu vermeiden. Diese Maßnahme erhöht jedoch die Transportkosten erheblich und wird sich voraussichtlich auf die Preise der betroffenen Waren auswirken.