Wegen Musk: „Austro-Twitter“ zieht sich von X zurück
2024-11-17
Autor: Simon
Am Sonntagabend gaben viele langjährige Nutzer von X in Österreich unter dem Hashtag „#eXit“ bekannt, dass sie ihre Konten stilllegen oder kündigen wollen. Zu den Abgängern zählen prominente Persönlichkeiten wie die Buchautorin Ingrid Brodnig, sowie Journalisten wie Michael Jungwirth von der „Kleinen Zeitung“, Corinna Milborn von Puls24, Christian Nusser von Newsflix/Heute-Verlag, Florian Klenk vom Falter und Armin Wolf vom ORF.
Internationale Medienkorrespondenten in Österreich, darunter Cathrin Kahlweit von der „Süddeutschen Zeitung“, Oliver Das Gupta vom „Spiegel“/„Standard“ und Meret Baumann von der „Neuen Zürcher Zeitung“, schließen sich ebenso diesem Rückzug an. Sie gehören zu einer wachsenden Zahl von Menschen, Medien, Institutionen, Unternehmen sowie Politikern und Staaten, die die Veränderungen auf X nicht länger akzeptieren wollen.
Diese Woche zogen auch der britische „Guardian“ und die spanische Zeitung „La Vanguardia“ ihre Konsequenzen und kündigten ihren Rückzug von der Plattform an. „La Vanguardia“ beschuldigte X, sich in eine „Echokammer von Verschwörungstheorien und Falschinformationen“ verwandelt zu haben. Die Plattform sei „in einer immer erschreckenderen Weise mit toxischem und irreführendem Inhalt gefüllt“. Der „Guardian“ bezeichnete X ebenfalls als „toxische Plattform“, belastet von häufig verstörenden Inhalten, darunter rechtsextreme Verschwörungstheorien und Rassismus. Zu den Abgängern zählt auch der US-Autor Stephen King.
Bereits bei der Übernahme von X, das früher als Twitter bekannt war, äußerten Kritiker Bedenken, dass die Plattform zu einem Sammelplatz für Hassrede und Falschinformationen werden könnte. In Brüssel wird mittlerweile ein Verfahren gemäß dem Digital Services Act gegen X geführt, weil die Plattform Falschinformationen und Hassbotschaften verbreitet – es droht eine Milliardenstrafe.
Der Eigentümer von X, Elon Musk, ist nicht nur CEO von Tesla, sondern auch der derzeit reichste Mensch der Welt und ein bekannter Unterstützer von Donald Trump. Berichten zufolge hat Musk Trumps politische Kampagne mit Millionen Dollar finanziell unterstützt. Die NGO Center for Countering Digital Hate (Zentrum zur Eindämmung von digitalem Hass, CCDH) hat zudem festgestellt, dass Musk mit zahlreichen Falschinformationen und irreführenden Beiträgen in den US-Wahlkampf eingegriffen hat.
Man geht davon aus, dass Musk in einer zukünftigen Trump-Regierung gemeinsam mit Vivek Ramaswamy ein eigenes Ministerium für die Effizienzsteigerung der US-Regierung (Department of Government Efficiency, kurz „DOGE“) erhalten soll. Gleichzeitig profitiert sein Raumfahrtunternehmen SpaceX von milliardenschweren Aufträgen der US-Regierung, was als Interessenkonflikt gewertet wird.
Twitter wurde 2006 als Plattform für kurze, banale Mitteilungen gegründet und entwickelte sich schnell zur zentralen Informationsquelle für Nutzer aus verschiedenen Bereichen, darunter Unternehmen, Politiker und Medien. Mit dem Anwachsen der Nutzerzahl stieg auch die Menge an Falschinformationen, was Twitter zwang, Regeln und Maßnahmen gegen Hassrede einzuführen.
Nach dem Sturm auf das US-Kapitol sperrte Twitter den Account von Donald Trump dauerhaft wegen „Risikos weiterer Anstiftung zur Gewalt“. Trump gründete daraufhin ein eigenes soziales Netzwerk namens Truth Social, da er zuvor sehr aktiv mit mehr als 88 Millionen Followern auf Twitter war.
Nach Musks Übernahme von Twitter, die er für 44 Milliarden Dollar abschloss, feuerte er einen Großteil der Mitarbeitenden und benannte die Plattform in X um. Dabei aktivierte er zahlreiche zuvor gesperrte Accounts, inklusive den von rechtsextremen Gruppen. Musk plant, X zu einer multifunktionalen App auszubauen, ähnlich wie in bestimmten asiatischen Ländern, mit integriertem Bezahldienst.
Werbekunden sind jedoch skeptisch geblieben und viele haben die Plattform verlassen, was Musk während öffentlicher Auftritte beklagte. Ob seine Einführung von zahlungspflichtigen Verifikationen die zurückgehenden Einnahmen ausgleichen kann, bleibt abzuwarten. Der Wert von X soll sich bis Ende 2023 halbiert haben.
Musk verkündete, dass X eine „globale Plattform für Redefreiheit“ werden sollte, wobei er seine Ansichten stark nach rechts verschoben hat. Er kritisiert, dass das alte Twitter Zensur im Sinne der Linken ausgeübt habe, und bezeichnet die etablierten Medien als rassistisch gegenüber Weißen. Seine Auffassung von Meinungsfreiheit scheint flexibel zu sein: So ließ er beispielsweise einen Account sperren, der die Flüge seines Privatjets verfolgte.
Währenddessen unternahm Musk drastische Schritte gegen die Bekämpfung von Falschinformationen und schränkte das Lesen von Tweets ein, während der Algorithmus von X Berichten zufolge seine eigenen Beiträge bevorzugt. Diese Entwicklungen begünstigen die Entstehung neuer Meinungsmacher und Eliten auf der Plattform, was von Forschenden der University of Washington als besorgniserregende Entwicklung bezeichnet wird. Die Abwanderung von Nutzern könnte dieses Ungleichgewicht weiterhin verstärken.