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Dänemark und die Zwangsverhütung in Grönland: Eine dunkle Geschichte kommt ans Licht

2024-11-18

Autor: Luca

Naja Lyberth, eine 62-jährige Psychotherapeutin aus Nuuk, erinnert sich schmerzlich an den Tag, als sie mit dreizehn Jahren zur Sterilisation gezwungen wurde. "Ich musste die Beine spreizen und spürte eiskalte Metallspiralen in mir. Ich war Jungfrau, ohne jede sexuelle Erfahrung. Das war das größte Trauma meines Lebens," erzählt sie mit zitternder Stimme.

Sie sitzt in ihrer Wohnküche und spricht für 143 grönländische Frauen, die Dänemark wegen Menschenrechtsverletzungen verklagen. Diese Frauen fordern jeweils 300.000 Kronen, also etwa 37.500 Schweizer Franken, als Entschädigung für die Zwangsmaßnahmen, die in den 1960er und 1970er Jahren ergriffen wurden, ohne dass ihre Zustimmung oder die ihrer Eltern eingeholt wurde. Es ist eine Geschichte, die sich wie aus den dunkelsten Kapiteln der Kolonialgeschichte liest.

Zwischen 1966 und 1970 wurden 4500 solcher Eingriffe dokumentiert, wobei viele Frauen, darunter Mädchen ab zwölf Jahren, betroffen waren. Die dänische Regierung hatte beschlossen, die Geburtenrate in Grönland möglichst schnell zu senken, eine Maßnahme, die bis in die 1980er Jahre fortgeführt wurde.

Die Zwangsverhütung war Teil einer umfassenden Übernahme Dänemarks, das Grönland 1953 zur nördlichsten Provinz erhob. In jener Zeit schlossen die Behörden, dass sie schnell und umfassend modernisieren und zugleich die Geburtenrate unter Kontrolle bringen mussten, aus Angst vor den finanziellen Konsequenzen einer wachsenden Bevölkerung.

"Es war eine schmerzhafte Erfahrung und ich habe für lange Zeit geschwiegen," erklärt Lyberth. Erst im geschützten Rahmen ihrer Arbeit als Psychotherapeutin, wo sie mit Opfern von sexuellem Missbrauch arbeitet, begann sie, über ihre Erlebnisse zu sprechen.

In ihren Therapiesitzungen zeigte sich, wie tief das Trauma in ihr verwurzelt war. Der Drang zu schweigen war stark, aber das Verdrängte konnte nicht ewig verborgen bleiben. Dieses Gefühl, dass etwas in ihr „tiefgefroren“ war, kam schließlich an die Oberfläche.

2019 wurde die Thematik durch einen Artikel in einer grönländischen Zeitschrift erstmals breiter thematisiert, jedoch blieben die Reaktionen damals gering. Die Dynamik änderte sich, als die dänische Journalistin Celine Klint 2022 über den Skandal berichtete und eine Welle der Empörung auslöste.

Die dänische Regierung reagierte darauf und versprach eine Untersuchung. So wurde im Oktober 2022 eine Untersuchungskommission gegründet, um die Strategien und Praktiken dieser dunklen Zeit zu beleuchten. Das Ziel ist auch, weitere illegale Handlungen seitens dänischer Ärzte gegenüber Minderjährigen bis 1970 zu klären.

Naja Lyberth betont, dass es für die Betroffenen von größter Bedeutung sei, dass die dänische Regierung eine formelle Entschuldigung ausspreche und Entschädigungen leiste. "Die finanzielle Hilfe ist wichtig, aber noch entscheidender ist das Anerkennen des Unrechts. Nur so können viele Frauen ihren Frieden finden, und für einige bleibt nicht viel Zeit."

Der Prozess gegen den Staat Dänemark wird frühestens 2026 beginnen. Der Weg zur Gerechtigkeit ist noch lang, aber die Stimme der Betroffenen wird immer lauter.