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Rechtsrutsch in Europa – Rückfall in die Zeit zwischen den Weltkriegen?

2024-10-03

Autor: Leonardo

Der Rechtsrutsch in Europa ist in den letzten Jahren immer deutlicher geworden und stellt eine ernsthafte Herausforderung für die demokratischen Werte dar, die nach dem Zweiten Weltkrieg vielfach gefestigt wurden. Der größte Wahlerfolg der rechtspopulistischen Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ), die bei den Parlamentswahlen knapp 30 Prozent der Stimmen erhielt und sich somit zur stärksten Partei in Österreich entwickelte, ist nur ein Beispiel für diesen Trend. Auch in anderen europäischen Ländern gewinnen ähnliche Parteien an Einfluss.

Marine Le Pen von der französischen Partei Rassemblement National gratulierte sofort der FPÖ und unterstrich damit die grenzüberschreitende Solidarität unter diesen politischen Bewegungen. Der Rechtsruck dürfte jedoch nicht nur den politischen Parteien, sondern auch den linksliberalen und sozialdemokratischen Bewegungen in Europa Sorgen bereiten, die angesichts des steigenden Nationalismus und der zunehmenden politischen Polarisierung ratlos erscheinen.

Die Ängste und Sorgen, die Präsident Emmanuel Macron vor fast sechs Jahren äußerte, haben an Relevanz nicht verloren. Er warnte vor dem Erstarken nationalistischer Bewegungen, die das Potenzial haben, Europa erneut in eine Krise zu stürzen, wie sie in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen zu beobachten war. Damals erlebte der Kontinent, wie autoritäre Regime durch nationale und populistische Ideologien angeheizt wurden.

Ein Blick auf die geschichtlichen Parallelen zeigt, dass das Europa der Nachkriegszeit nicht in den gleichen Verwerfungen steckt wie in den 1920er- und 1930er-Jahren, aber bestimmte Dynamiken sind dennoch vergleichbar. Damals wie heute sind Krisensituationen häufig Auslöser für eine Rückkehr zu extremen politischen Positionen. Die tiefgreifende Wirtschaftskrise der 1930er Jahre brachte massive Arbeitslosigkeit und soziale Verwerfungen mit sich, eine Situation, die auch in der heutigen Zeit – trotz ausbleibender Massenarbeitslosigkeit – zu einem Gefühl der Unsicherheit führt. Die gegenwärtige Lage wird durch Herausforderungen wie den Klimawandel, geopolitische Konflikte sowie Flüchtlingsströme intensiviert.

Die rechtspopulistischen Parteien in Europa sind sich in ihrer Abneigung gegenüber Migration weitestgehend einig, obwohl es klare Differenzen hinsichtlich ihrer wirtschaftspolitischen Ansätze gibt. Während die AfD in Deutschland eine neoliberale Wirtschaftspolitik verfolgt, positioniert sich das Rassemblement National eher links und plädiert für höhere Löhne und den Schutz sozialer Leistungen für inländische Bürger. Diese unterschiedlichen Ansätze deuten darauf hin, dass die rechtspopulistische Bewegung keine homogene Einheit bildet.

Das Verhältnis zu Russland polarisiert ebenfalls: Während einige Parteien, wie die FPÖ und die AfD, tendenziell pro-russisch auftreten, nehmen andere wie die polnische PiS und die italienischen Fratelli d'Italia eine kritische Haltung gegenüber Putins aggressiver Außenpolitik ein. Einig sind sich jedoch alle in ihrer ablehnenden Haltung zur Migration, wodurch sich eine gemeinsame Grundlage bildet, die den Aufstieg dieser Parteien befördert.

Ein weiterer zentraler Aspekt ist die Tatsache, dass während in der Zeit zwischen den Weltkriegen häufig Feindbilder wie Juden oder Kommunisten konstruiert wurden, heute vor allem Muslime und Migranten im Fokus stehen. Dies sind gesellschaftliche Reaktionen auf schnelle soziale Veränderungen, die von vielen als bedrohlich empfunden werden.

Im Vergleich zu den 1930er Jahren gibt es jedoch entscheidende Unterschiede. Europa erlebte seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine beispiellose Phase des Friedens, und die wirtschaftlichen Bedingungen sind weit weniger dramatisch als damals. Auch die Demokratie hat in den meisten europäischen Ländern tiefer verwurzelte Strukturen, die nicht so leicht untergraben werden können, wie es in der Vergangenheit der Fall war.

Dennoch ist das Gefühl der Unsicherheit weit verbreitet. Die Gesellschaft steht an einem Scheideweg, während populistische Bewegungen versuchen, von diesen Ängsten zu profitieren. Historisch gesehen war der Rechtsruck in Europa oft Vorbote größerer gesellschaftlicher und politischer Umbrüche. Für viele stellt sich die Frage: Steht Europa wirklich am Rande einer neuen Ära des Extremismus und der Diktatur oder gibt es noch Spielräume für die Verteidigung der Demokratie?